§         Debra Bergoffen

Altern: Die Politik der Endlichkeit

In Das Alter verknüpft Simone de Beauvoir das Elend über das fortgeschrittene Alter mit der einzigartigen Beziehung alter Menschen zur Zeit. Im Zuge der Lektüre der Beschreibungen über die gelebte Zeit alter Menschen in der Ethik der Ambiguität und Alle Menschen sind sterblich habe ich jedoch festgestellt, dass das von den Älteren erfahrene Elend der Endlichkeit eine Konsequenz aus ihrem Missverständnis über die Endlichkeit ihrer besten Jahre  ist. Dieses Missverständnis hellt sich auf, und eine alternative existenzialistische Lesart der Endlichkeit wird möglich, wenn man die Narrationen der Gealterten und diejenigen des unsterblichen „Menschen“ (man) gegenüberstellt. Damit werden Kriterien dafür sichtbar, was Beauvoir einen authentischen Entwurf und eine Politik des Appells nennt – einen Entwurf und eine Politik, die eine Richtung weisen, wie uns kontingente Realitäten über Generationen hinweg aneinander binden.


 
§         Penelope Deutscher

Das Alter des Geschlechts und das Geschlecht des Alters

Beauvoirs La Vieillesse betont die Unterscheidungen zwischen der Bedeutung des Alterns bei Männern und Frauen. Es gibt auch einige Parallelen zwischen dem Status der Frau als Anderer und der Alterität, wie sie meint, im reifen Alter. Der Vorschlag ist unterbreitet worden, dass Männer im Alterungsprozess (im Kontext kollektiver Bedeutungen von Maskulinität und Feminität) manchmal feminisiert werden. Demgegenüber würde das Altern Frauen weder hyper-feminisieren noch maskulinisieren. Vielmehr deuten einige Stellen in La Vieillesse auf eine Befreiung der von Frauen erfahrenen Mühen der Geschlechterdifferenz hin. Folglich würden einige Frauen dann „post-feminin“ werden, wenn Männer einem Feminisierungsprozess unterliegen. Angesichts des Arguments der Überschneidung [imbrication] von Alter und Geschlecht kann es scheinbar kein Geschlecht ohne seine Altersdifferenzen geben. Wie verhalten sich dann die Argumente der gelebten Altersdifferenzen und der Geschlechterdifferenz zueinander? (Wo sind dann die Schnittstellen zwischen dem Argument der gelebten Altersdifferenz and jenem der Geschlechterdifferenz?) Welche Begriffe von leiblich-subjektiver Zeitlichkeit werden angedeutet, und wie wirken sich diese auf die gelebte Geschlechterdifferenz aus?

 
§         Helen Fielding

Die Poesie der Gewohnheit

Alt sein bedeutet für Simone de Beauvoir weder zur Freiheit noch zu Sinn, sondern zur Langeweile verurteilt zu sein. Da das Leben Bewegung ist, sind unsere auf Erfüllung ausgerichteten Handlungen solche, die unser Leben mit Absicht, Neugier und Freude durchdringen. Für die Alten kann die Welt jedoch still werden; ohne Ansprüche und ohne besondere Ziele birgt sie die Gefahr in sich, Gleichgültigkeit herbeizuführen. Aus diesem Grund kann die Gewohnheit zu einer Form der Poesie werden, weil sie die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu einer Art Ewigkeit zusammenführt, die dem Gegenwartsmoment nun mit seinem im Alten begrenzten Zukunftshorizont fehlt. In diesem Vortrag werde ich die phänomenologischen Rekonfigurationen der Gegenwart in Das Alter erörtern, indem ich der Intensivierung und der Modifikation der Gegenwart durch die Gewohnheit nachgehe.

 

§         Sonia Kruks

Beauvoirs Das Alter und Sartres Kritik:
Materielle Meditationen über das Alter als gelebte Erfahrung

Simone de Beauvoir hat einmal Das Alter als „Gegenstück“ zu Das andere Geschlecht beschrieben. Dennoch wird in diesem Vortrag – ungeachtet der zahlreichen Ähnlichkeiten – die Behauptung aufgestellt, dass diese beiden Werke auch signifikante theoretische Unterschiede aufweisen. Bevor Beauvoir Das Alter schrieb, hatte Sartre die Kritik der dialektischen Vernunft (1960) veröffentlicht. Darin unternahm er den Versuch, die Phänomenologie mit einer neomarxistischen Beschreibung dessen in Einklang zu bringen, wie die menschliche Praxis die Welt in eine Reihe von materiell konstituierten, sozialen Einschränkungen von Freiheit transformiert. In diesem Vortrag wird untersucht, wie sich Beauvoir in Das Alter ausgewählte „materialistische“ Elemente von Sartres Kritik aneignet, einschließlich solcher Begriffe wie die „Serialität“ und das „Praktisch-Interte“. Sie integriert diese Konzepte in ihr eigenes Werk, um eine dialektische Darstellung des Alters zu entwickeln, welche sowohl eine materiell konstituierte gesellschaftliche Realität als auch eine individuell gelebte Erfahrung ist.

 

§         Dorothea Olkowski

Das Gewicht der Vergangenheit loslassen:
Beauvoir und die Freude der Existenz

Simone de Beauvoir macht eine Ethik geltend, welche den absoluten Wert der Fundierung der eigenen Existenz gänzlich dem Individuum überlässt. Gleichzeitig erkennt sie jedoch an, dass Individuen nur durch ihre Beziehung zur Welt und zu anderen Individuen definiert sind, dass sie nur existieren, wenn sie sich selbst transzendieren. In Das Alter macht es sich Beauvoir zur Aufgabe, diese Philosophie in den Kontext der Frage nach dem Altern einzubetten. Dies wirft die Frage auf, wie es angesichts der Realität der Beziehung zwischen der biologischen und sozialen Zeit des alternden Individuums, der Kürze der Zukunft und des Gewichts der Vergangenheit für das Individuum möglich ist, so zu leben, dass dadurch die Freude der Existenz bekräftigt wird. In diesem Vortrag soll die Behauptung aufgestellt werden, dass Beauvoir zufolge das Alter nicht nur eine individuelle Angelegenheit ist. Es wird gezeigt werden, dass keine noch so heroischen individualistischen Anstrengungen eine Zivilisation kompensieren können, die darin versagt, die Beziehungen zwischen Menschen so zu revidieren, dass es für ein Individuum jeden Alters möglich wird, ein aktives und nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein. Eine solche Möglichkeit erfordert, dass atomistische und individualistische Begriffe des Menschen aufgegeben werden. Dieser Vortrag wird Alternativen zu Beauvoirs Beschreibungen des Alterns untersuchen.

 

§         Christina Schües

Alter und Zukunft

Simone de Beauvoir geht davon aus, dass das eigene Alter das Nicht-Realisierbare ist, da es kein Gegenstand innerer Erfahrung ist. Vielmehr konfrontiert uns das Alter mit unserer Endlichkeit: mit den Grenzen unserer Zukunft und dem Eingeschlossensein in eine historische Epoche und ihrem Gewicht der Vergangenheit. Hängt Beauvoirs pessimistische Ansicht über die existenzielle Erfahrung von der Frage der Realisierung und von ihrer besonderen Wahl einer Phänomenologie der Erfahrungen ab? Ist es richtig, wie Beauvoir glaubt, dass alte Menschen eine „begrenzte Zukunft und eine erstarrte Vergangenheit“ haben? Durch die Herausarbeitung der Voraussetzungen ihres phänomenologischen Ansatzes der Zeit und einem Vergleich ihres Ansatzes mit Schelers Gedanken über das „Erlebnis der Todesrichtung“ in Zur Ethik und Erkenntnislehre möchte ich zeigen, dass ihre methodische Fokussierung auf die gelebte Erfahrung, die die Nicht-Realisierbarkeit des Alters beinhaltet, zu keinerlei Optimismus und keinen Zukunftsentwürfen führen kann. Wie aber wäre die Beziehung zwischen einem optimistischen Zukunftsdenken, einer besonderen Zeit-Struktur, einer allgemeinen sozialen Unterstützung und dem Respekt gegenüber den Älteren, und der Realisierung des eigenen Alters zu denken?

 

§         Silvia Stoller

Das Kind in uns und wir im Anderen:
Die Verschränkung der Zeit bei Beauvoir und Merleau-Ponty

Eine der zentralen Forderungen Beauvoirs in Das Alter lautet, sich in den alten Menschen wieder zu erkennen. Merleau-Ponty stellt in der Phänomenologie der Wahrnehmung die These auf, dass der Greis noch an seine Kindheit rührt. Beide Auffassungen thematisieren Zeitlichkeitsaspekte in Bezug auf den alten Menschen. Inwiefern tragen diese Auffassungen zum philosophischen Verständnis des Alters und des Alterns bei? Während Beauvoirs Auffassung explizit ethischen Ansprüchen genügen will, scheint Merleau-Pontys Auffassung eher nur einer impliziten Ethik entsprechen zu können. Beide Auffassungen zusammen können jedoch für eine gerontologische Ethik fruchtbar gemacht werden.

 

§         Gail Weiss

Mythos der Frau trifft Mythos des Alters:
Eine befremdliche Begegnung mit dem alternden weiblichen Körper

Dieser Vortrag bietet eine kritische Prüfung einer Anzahl von philosophischen und literarischen Darstellungen des Alters, die, wie ich behaupte, Beauvoirs Verständnis der einzigartigen phänomenologischen Erfahrung des älteren Körpers in Das Alter bestärken und vertiefen. In der Philosophie und der Literatur wird das fortgeschrittene Alter wiederholt (wenn auch unterschiedlich) als ein notwendiger, unvermeidlicher Teil der menschlichen Erfahrung dargestellt, auf deren Bewältigung die meisten Menschen so lange nicht vorbereitet sind, bis sie nicht mehr bestreiten können, dass sie den Rang der Älteren erreicht haben. Beauvoirs Besprechung der Macht der mythischen Konzeptionen des fortgeschrittenen Alters in Das Alter ist, wie ich meine, in einem sehr wichtigen und provokativen Sinne eine Erweiterung ihrer früheren Besprechung der schädlichen Effekte des Mythos Frau in Das andere Geschlecht. Ich werde darlegen, wie sich der Mythos Frau bzw. die Mythen über die Frau und der Mythos/die Mythen vom fortgeschrittenen Alter in der gelebten Erfahrung des älteren weiblichen Körpers überschneiden und dadurch diese Erfahrung für viele gegenwärtige Frauen zu einer sehr befremdlichen machen.

 

Die Abstracts der Vorträge können als PDF- und als Word-Datei heruntergeladen werden:

 

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